Bilden, baden, wandern, skizzieren, forschen, vernetzen, chillen
„Man sieht nur, was man weiß“ oder „Reisen bildet“ – das sind Zitate, die Johann Wolfgang von Goethe (18 Jh) zugesprochen werden. Die FOS 12 hat auf ihrer Studienfahrt Weimar entdeckt – von der Klassik bis zum Bauhaus. Die Residenzstadt vereint deutsche und europäische Kulturgeschichte. Im wahrsten Sinne fächerübergreifend erkundeten die SchülerInnen diese faszinierende Stadt.
Nach der Ankunft gab es direkt eine interaktive Führung im Neuen Museum, indem die Produkte des Designers Henry van de Velde (Jugendstil) interaktiv erforscht wurden: Nachbilden der Formen mit Draht und per Skizze. „Gut, dass man Dinge selbst machen konnte“ (Kimi). Stühle, Besteck, Malerei der Jahrhundertwende bereiteten die Neuzeit und ihre kubischen Formen vor. Vor den Malereien des 20. Jahrhunderts stand ein Tisch mit echten Pigmenten, Leinöl, Pinseln: „Farbpigmente wurden mit Öl gemischt, bis in der Zeit die Tube erfunden wurde“, erinnert sich Tabitha. “Die realistischen und pointillistischen Gemälde haben mir am besten gefallen“ (Alona B).
Ein entspannender Gang durch den Park an der Ilm bei herrlichstem Sonnenschein führte die Gruppe zum „Geburtstagskind 2023“, dem Haus am Horn, das dieses Jahr 100 wird, einem Gesamtkunstwerk aller Werkstätten des Bauhauses. „Die Raumkonstellation war gut durchdacht, so, dass man sich trotz der geringen Größe nicht zu eingeengt fühlte. Simpel und effektiv“(Thalia). „Der Garten zur Selbstversorgung ist brillant“ (Antonia). Besonderheiten des Stils zu Innendesign, Architektur und Haustechnik konnten an diesem Musterhaus wiedererkannt und erörtert werden, denn im Fachbericht 2 hatten sich einige mit der Architektur oder dessen Produktdesign auseinandergesetzt.
Fotos 8, 9
Abends gings dann ins Stellwerk, einem modernen Jugendtheater. Die Gruppe durfte Teil der Premiere von „Das Jahr ohne Sommer“ sein – einem „theatralen Rechercheprojekt zur Klimakrise“. Was sich düster anhörte, entpuppte sich als ein Spektakel aus Wortakrobatik, Ausdruckstanz und waghalsigen Kletterwegen auf einem schwankenden Gerüst bis unters Theaterdach. In einer künstlerisch forschenden Auseinandersetzung fragten sich acht junge Erwachsene, die in knallbunten Segeltuchtrainern gekleidet waren: Kann die Geschichte der Menschheit ein Happy End haben? Die jungen Laienschauspieler (16-23 J.) bauten vor unseren Augen ein Gerüst in dichtem Nebel auf und kletterten, ihre Texte rezitierend, auf und ab. Wir leben im „Anthropozän“, dem Zeitalter, in dem die Menschheit und der Kapitalismus den größten Einfluss auf unseren Planeten haben. Die Menschheit trägt nicht nur die Verantwortung für die Geschichte, sondern auch für die Zukunft unseres Planeten“, heißt es im Textheft. Mit wenigen Worten, widerständigen Körpern und in atmosphärischen Bildern schmiedeten sie Pläne für eine bessere Zukunft. Die atonalen Chorpassagen gingen durch Mark und Bein, machten betroffen, dazu blendendes Scheinwerferlicht, was uns zudem physisch forderte. „Impulsiv, der Gesangspart war stark“ (Abigail). „Für mich war das Stück sehr verwirrend“ (Kimi). „Das Gerüst war eine Metapher für die Erde“ (Alöna). „Das Theaterstück fand ich besonders gut. Das Baugeländer war eine gute Metapher für die Arbeiterklasse, der routierende Tanz – der immer gleiche Alltag. Das ständige Auf-und Abbauen des Geländers, wie die Menschheit sich selbst ständig neu erfindet. Die Message offen: auf der einen Seite Sorge über den Zustand der Welt, auf der anderen Seite Mut für eine bessere Zukunft zu kämpfen.“ (Thalia)
„Ich finde es krass, dass die Personen 16-23 Jahre waren, denn ich weiß, ich würde das so nicht hinbekommen.“ (Tabitha)
Gefördert wurde die Inszenierung vom Ministerium für Umwelt.
Zweiter Tag:Zum Glück lag das Appartementhaus nur wenige Minuten vom Bahnhof. Mit dem Bus fuhren wir von Weimar ins 20 Min entfernte Buchenwald, zum Schluss über die sogenannte „Blutstraße“ zur Gedenkstätte, z.T. noch über Abschnitte der „Hitler-Autobahn“, die er durch jüdische Inhaftierte erbauen ließ. In einer der ehemaligen SS-Kasernen befindet sich die Internationale Jugendbegegnungsstätte, dort wurde die Gruppe durch ein einleitendes Gespräch sehr gut eingestimmt. Es entwickelte sich ein angeregter Austausch, indem sich Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen entwickeln konnten. Die Pädagogin lobte die Gruppe für ihr gutes Vorwissen. Brücken zum wieder aufkeimenden Antisemitismus wurden gezogen. Der anschließende Rundgang über das Arbeitslager machte ungeheuer betroffen. „Es ist mir schwergefallen, mich dort zu befinden“ (Alöna). „Ich glaube, dass das eine wichtige Erfahrung ist, die jeder mal durchleben sollte“ (Emily). „Ich fühlte mich dort fremd, obwohl es mein eigenes Land betrifft.“ (Alena G.)
Häftlingslager, SS-Bereich, Rüstungswerk und Massengräber waren die Funktionen dieses Arbeitslagers. Auf dem Tor prangte das Schild „Jedem das Seine“, zu dessen Herstellung der jüdische Bauhausstudent F. Ehrlich gezwungen worden war. In der Nähe besuchten wir das moderne Kunstwerk „Denkmal an ein Denkmal“, eine auf 37°Grad temperierte Eisenbodenplatte, – Hinweis darauf, dass alle Menschen die gleiche Körpertemperatur haben – mahnt spürbar.
Nachmittags machte sich die Truppe mit der Bahn auf nach Bad Sulza und besuchte das Gradierwerk, einem luftigen Holzgerüstbau dessen Wandelgänge mit Schwarzdorn gefüllt sind, über den solehaltiges Wasser geführt wird. Die mit Salztröpfchen angereicherte Luft inhalierten wir. Ein besonderes Erlebnis war die Zerstäuberhalle, in der die SchülerInnen in weißen Kutten im weißen Salztröpfchennebel eine Wohltat für die Atemwege erlebten. Eine Kurpatientin aus der Klink erklärte uns, ein Tag im Gradierwerk wirke wie ein Tag am Meer. “War schön, hat sich wie Nasenspray angefühlt“ (Jonathan).“Das war entspannend, wenn man eingeatmet hat, hat es lecker nach Salz geschmeckt“ (Viktoria).
Micky Remann empfing uns dann im Conference Center der Toskanaworld Therme und erzählte uns etwas über das Liquid Sound System dieses Solebades, dass wir in der warmen Sole schwebend über die Knochen wunderschöne Musik unter Wasser genießen können. Er lehrt immersive Medien als Professor an der Bauhausuniversität und veranschaulichte das Multimediasystem, was er selbst mit entwickelt hatte. Als wir dann in die warme Sole stiegen war das tatsächlich eine Wohl-tat und ein unvergessliches Erlebnis. „Die Therme war cool“ (Jonathan). „Mega Soundsystem“ (Abigail).“Die Therme war für mich ein Highlight, besonders der Raum mit der Mandala-Kuppel und der Unterwasser Sound hatte es mir angetan, super entspannend Musik zuhören, während man im Wasser lag“ (Charlotte). „Wie in einer anderen Welt, sehr zu empfehlen“ (Antonia). Wir durften die Happy Hour ganze drei Stunden nutzen.
Übrigens wird der Bereich „Immersive Medien“ jetzt als Ausbildungsberuf angeboten erklärte uns Frau Otte-Varolgil. Immersive Medien sind mediale Formen, die zum Ziel haben, das Bewusstsein von Nutzer/-innen – durch illusorische Stimuli – in eine virtuelle, oftmals interaktive Welt mitzunehmen. Somit soll ein “Eintauchen” (Immersion) in eine (computergenerierte) Umgebung ermöglicht werden.
Den Abend haben wir individuell in Gruppen gestaltet.
Mittwochmorgen machten wir Weimar unsicher! Der Tag begann mit einer Führung von Herrn Hopf entlang besonderer Häuser aus verschiedenen Stilepochen, die wir bereits in Referaten in der Schule vorbereitet hatten. Natürlich überwiegt in der ausgesprochen gut restaurierten Stadt die „Weimarer Klassik“, die sich wiederum auf die Antike rückbesinnt. An den Fassaden erkannten wir Merkmale der Renaissance, z.B. der Giebel des grün-weißen Stadthauses, oder die wülstigen Türen und Zwiebeltürme des Barock. „Die einzelnen Gebäude haben viel mehr gewirkt, wenn man sich mit den kleinen Details auseinandersetzt.“ (Charlotte). „Wir haben viele Gebäude gesehen, auf die man nicht so geachtet hätte, wenn man alleine dort entlang gegangen wäre“ (Emily). Immer wieder stießen wir auch auf ehemalige Baulücken, in denen mit modernen Lösungen sehr gute Verbindungen zu der alten Architektur gefunden wurden (z.B. neuer Teil der Anna Amalia Bibliothek), wofür sich Hannah, Alöna und Alona (Praktikum Architektenbüros) besonders interessierten. „Für mich eine weitere Bestätigung mit offenen Augen durch die Welt zu gehen“ (Tabitha). „Wie ästhetisch die Gegend ist“ (Alena B).
Nach einer Pause trafen wir uns am Bauhaus-Museum, was zum 100 Jubiläum 2019 errichtet wurde. Der kubische Bau ist für viele Weimarer immer noch zu nüchtern, ein „Kasten“ wird gespottet. Wir nutzten die Architektur außen und innen für kurze performative Momente, zu denen uns Frau Eva-Maria Kagermann anleitete.
Unsere italienische Kunsthistorikerin Francesca erläuterte uns im Gebäude sehr augenscheinlich, wie die Architektin mit Fenstern Durchblicke geschaffen hat, z.B. in der ersten Etage auf Buchenwald und dieser Bau eine feinsinnige Verknüpfung der verschiedenen historischen Epochen Weimars aufweist. Durch ihre Erklärungen konnten wir schon Querbezüge zu den bereits besuchten Orten bilden. Endlich die Originale des Bauhauses aus der Nähe sehen zu können war aufregend: z.B. die Wagenfeldlampe, den Breuer Stahlrohrstuhl. „Tolle Führung“ (Annalena). „Ich saß auf einem Stahlrohrstuhl, der sehr bequem war“ (Kimi). Die Schüler stießen auf ihre Fachberichtthemen: z.B. Alona B. fand die Haus-Module von Gropius, Delia das Bauspiel, von dem sie sich zu einem Spiel aus Kacheln inspirieren ließ, was auch als Badezimmerdekoration nutzbar ist; Alöna stand plötzlich vor original Einrichtungsgegenständen vom Haus am Horn. „Spannend, Dinge, die man schon kannte in echt zu sehen. Viel Produktdesign fand ich modern, damit würde ich meine eigene Wohnung einrichten.“ (Alena G). „Diese Einrichtung war eine gute Erfindung, praktisch der Vorläufer zu Ikea“ (Tabitha).
Uns wurde augenscheinlich bewusst, wie stark das Bauhaus „Gestaltung und Handwerk“ verbunden hat, indem „die Form der Funktion folgte“ und wir uns mit unseren Praktikumsbetrieben bei Goldschmieden, Schreinern, Grafikdesignern, etc. mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigt hatten. Im Museum verteilte uns Frau Kagermann weiße Gesichtsmasken und brachte uns dazu, uns in Bezug zu den Formen der Architektur zu bewegen. Unsere Museumspädagogin war begeistert und animierte uns die Fotos der Direktorin des Museums zu schicken.
Zeit zum Shoppen, Chillen, Klönen musste auch sein. Bevor wir uns dann zum gemeinsamen Abendessen in der Pizzeria Versilia trafen wurden die meisten von uns von einem warmen Sommerregen überrascht. „Es war lecker und unterhaltsam, so hatte man Zeit sich noch besser kennenzulernen“ (Alona B).
Kurzweilig war auch die Fahrt nach Jena, in die Stadt von Schott, Zeiß, Abbé. Wir besuchten das Zeiss-Planetarium, ein Wunsch von Frau MüllerJ, und genossen die „Aurora“ Show- reale Filmaufnahmen von Polarlichtern, die ein Astrophysiker mittels spezieller Kameras an Bord der Raumstation ISS zu lebendigen Filmaufnahmen erstellte und uns in eine magische Welt versetzte. Wir erhielten einen umfassenden Überblick über Sternbilder, das Sonnensystem und die Milchstraße. „Die Meteoriden haben sich angefühlt als würden sie auf einen fliegen“ (Kim). „Ich war sehr begeistert, weil ich das Weltall faszinierend finde“ (Delia). „Atemberaubend. Man wurde förmlich ins All geschossen“(Antonia).
An unserem letzten Tag empfing uns Philipp, ein Student der Urbanistik, in der Bauhaus Universität. Die Wurzeln der Bauhaus-Universität liegen im 19 Jh. Es war anfangs künstlerische Lehranstalt, erhielt später den Charakter einer modernen, technischen Hochschule mit zahlreichen bauwissenschaftlichen Disziplinen. Heute wird in der Einrichtung wieder Kunst und Technik zusammengeführt. Seit 1996 trägt die Universität den Namen der bedeutenden Designschule des 20. Jahrhunderts. Nach dem Hauptgebäude von Van de Velde, erkundete die Gruppe die Treppenhäuser, samt Wandbildern, die Ateliers und das Zimmer des damaligen Direktoren Gropius. Sehr engagiert erzählte Philipp auch von der aktuellen Forschungswerkstatt: „Krise und Transformation des Eigenheims“ und wir konnten Modellversuche mit unterschiedlichen Baumaterialien im Hof der Uni anschauen und anfassen. Ein echter Student! Er erklärte sehr spannend! Außerdem berichtete er über seine Sorge der besonders in Thüringen stark erstarkenden AfD und den studentischen Protest-Aktionen dagegen.
Für uns bildete sich aus den vielen Mosaiksteinen ein Bild: es vernetzte sich Einiges! . „Ich hab gelernt, dass der Mensch im Zentrum beim Bauhaus steht“ (Annalena). „Hübscher StudentJ. Guter Mix aus Geschichte und Uni heute“ (Abigail). „Alles sehr interessant rübergebracht“ (Charlotte).
Der Besuch der Anna-Amalia Bibliothek war ein weiteres Highlight und so konnte die Epoche Rokoko auf eigene Faust erkundet und richtig bewundert werden. „Das Deckendesign mit dem indirekten Licht war schön“ (Emily). „Fast wie in einem Märchen…mit goldenen Büsten und viel Geschnörkel“ (Antonia).
Als Abschlussaktion trafen wir uns, angeleitet von Frau Kagermann, vor dem Nationaltheater beim Denkmal von Goethe und Schiller, setzten unsere weißen Masken auf und eroberten performativ den Platz. „Ich brauchte Überwindung, hat aber Spaß gemacht“ (Alena G). „Ich werde die Performance nie vergessen. Altes und Neues haben wir konfrontiert.“ (Tabitha). „Lustig und interessant, weil permanent Passanten uns darauf ansprachen“ (Charlotte). „Gefühl von Freiheit“ (Annalena). „Man hat sich als Teil von etwas Ganzem gefühlt“ (Abigail).
Danach gab es endlich wieder Zeit zum Shoppen, Chillen etc. Einige entdeckten noch super schöne Cafés, kleine stylische Lädchen etc. – so soll es sein! Abi: „Hier würd` ich gern studieren“. Eine kleine Gruppe schloss sich Frau Müller, Frau Kagermann und Frau Otte an, und erkundeten ein zweites Mal das Bauhaus Museum. Bewusst angeschaut wurden auch die Foto-Serien auf Großtableaux im Stadtraum mit Familien aus Weimarer Wohnungen „Wie wohnt Weimar?“.
Die Rückreise mit der Bahn war erstaunlich entspannt, dadurch dass unser Ausstieg im gebuchten Zug in Frankfurt gestrichen war (Aufregung!) nahmen wir einfach einen früheren Zug: Danke Frau Müller fürs Navigieren!
Eine Reise auf vielseitigen Spuren: der Gestaltung/des Designs/der Architektur, aber auch auf den Fährten der Geschichte, der Ethik, der Physik, der Literatur, des Theaters, der Performance und last but not least – der Wellness, denn die Bauhaus-Studenten waren Reformer und achteten auf gesundes Leben J.